Sunday, 31 March 2013

Übungen gegen Stress: Beobachten, fühlen, entschleunigen

Spiegel Online: Von Jana Hauschild

Das Gespräch mit dem Chef, der Clinch mit den Nachbarn oder die offene Stromrechnung: 

Vielen Menschen schwirrt pausenlos Alltagsstress durch den Kopf. Mit ein paar einfachen Übungen lässt sich die Hektik der Gedanken jedoch dämpfen - und sogar psychischen Erkrankungen vorbeugen.

Das Frühstück mit der Familie könnte so schön sein, doch die Gedanken kreisen bereits um die Aktenberge am Arbeitsplatz. 
Bei der Mittagspause brummt der Kopf wegen der Nachmittagsplanung mit den Kindern. 
Und kommen abends die Beine auf der Couch zur Ruhe, geht es an die Vorbereitungen für den nächsten Tag.

Viele hetzen in ihrem Leben von einem Punkt der To-do-Liste zum nächsten. Dabei fällt es schwer, sich selbst gerecht zu werden. 
Doch es gibt eine Möglichkeit, das Leben zu entschleunigen: mit Achtsamkeit
Sie lässt sich einfach in den Alltag integrieren - und kommt ganz ohne esoterisches Schischi aus.

"Die Menschen hetzen in ihren Gedanken immer in die Zukunft, um ja nichts zu verpassen. Dabei entgeht ihnen genau dann das, was wirklich gerade passiert", sagt der Psychiater Michael Huppertz.

Wer lernt, Momente bewusst zu erleben und auf seine inneren Regungen zu horchen, schützt seine Psyche. Schon wenige achtsame Momente am Tag erhöhen die Lebensqualität, machen zufriedener im Beruf und können sogar einem Burnout vorbeugen.

Viel nötig ist dafür nicht:
Bereits kleine Achtsamkeitsübungen gönnen der Psyche ab und an eine Auszeit - ganz ohne Hilfsmittel, zu jeder Zeit, an jedem Ort.

Am Morgen: 
Sinnieren Sie unter der Dusche nicht schon über die Tagesplanung, nutzen Sie lieber Ihre Sinne und achten Sie auf jedes winzige Detail. 
Wie fühlt sich der Wasserhahn an? 
Was für ein Geräusch macht er beim Aufdrehen? 
Lauschen Sie dem Plätschern des Wassers, versuchen Sie die unterschiedlichen Klänge der Tropfen zu erhaschen: auf ihrem Körper, an der Duschwand, auf dem Boden. 
Oder beobachten Sie, wie das Wasser auf ihrer Haut abperlt, wie sich das Duschgel in eine schaumige Masse verwandelt und einzelne Schaumblasen zerplatzen. 
Dabei ist wichtig: 
Versuchen Sie mit Ihren Gedanken wirklich unter der Dusche zu bleiben. Driften Sie für einen Moment doch ab zu anstehenden Terminen oder vergangenen Streitigkeiten, nehmen Sie auch das wahr und kehren Sie sanft wieder zurück in den Moment. Das kann bei jeder Achtsamkeitsübung passieren.

Auch mal erleben:
Jede kleinste Bewegung beim Zähneputzen, die Geräusche beim Schmieren der Frühstücksbrote oder das Körpergefühl im Moment, bevor man aus dem Bett aufsteht: Wie geht es dem kleinen Zeh? Was macht das linke Ohrläppchen?

Unterwegs: 
Heben Sie in der Bahn Ihre Augen vom Buch, vom Smartphone oder von Ihrem sonstigen Zeitvertreib. Beobachten Sie die Menschen, die Sie umgeben. Folgen Sie mit Ihrem Blick dem Alltäglichen. Nehmen Sie wahr, wer mit Ihnen unterwegs ist, was die anderen Gäste während der Fahrt tun, wie sie gucken. Aber Vorsicht: Bewerten Sie nicht, was Sie sehen, denken Sie nicht weiter darüber nach, sondern schauen Sie nur. Auch das gilt für jede Achtsamkeitsübung.

Auch mal erleben: 
Die Liebkosungen des Windes beim Radfahren, jedes Haus, jede Wiese, jedes Schaf, das am Busfenster vorbeizieht oder die mannigfachen Gerüche am Bahnhof.

Am Arbeitsplatz:
Nehmen Sie sich zwei Minuten Zeit und sehen Sie sich ganz bewusst an Ihrem Arbeitsplatz um. Beschauen Sie jedes Detail. Benennen Sie im Kopf alles, was Sie sehen. Aber: Denken Sie nicht weiter darüber nach, sondern gehen Sie gemächlich im Kopf weiter zum nächsten Gegenstand. Sie können auch die Heftklammern einzeln anfassen, das kühle Metall an der Fingerspitze spüren oder den Notizblock wie ein Daumenkino durchblättern und dabei den Luftzug im Gesicht spüren.

Auch erleben: 
Den Blick auf das "Dazwischen" lenken: Was befindet sich zwischen zwei Büroschränken? Zwischen Büchern und Ordnern, zwischen Tesafilm und Klebestift, zwischen den Köpfen von Kollegen?

Mittagspause: 
Konzentrieren Sie sich einige Bissen lang ganz genau auf den Geschmack des Gerichts. Tasten Sie das Essen mit der Zunge ab, erkunden Sie die Konsistenz. Beobachten Sie, wie Ihr Speichel fließt und spüren Sie, wie Ihr Getränk im Mund bitzelt.

Auch mal erleben:
Nur in Gedanken eine Zitrone nehmen, sie gemächlich aufschneiden, daran riechen und hineinbeißen. Spüren Sie die Säure?

Für zwischendurch: 
Stehen Sie mal auf und gehen Sie ein oder zwei Minuten lang einfach durch den Raum oder über eine Wiese. Ganz ohne Ziel. Folgen Sie dabei nur Ihren Impulsen: Mal nach links, dann vielleicht rückwärts, mal in großen, mal in kleinen Schritten.

Auch mal erleben: 
Eine Minute lang die Ohren zuhalten und in sich hineinhorchen, dann wieder öffnen und ebenso lang die Geräusche um sich herum genau aufnehmen.

Anti-Training:
Schalten Sie im Auto auf der Heimfahrt oder im Wohnzimmer zu Hause einen Radiosender ein, den Sie sonst nur ungern hören. Lauschen Sie dort einem Song: Achten Sie auf jeden einzelnen Ton, hören Sie die verschiedenen Instrumente um Aufmerksamkeit ringen. Sie denken jetzt: Warum soll ich das machen, wenn ich die Musik doch nicht mag? "Vor allem in unangenehmen Momenten achtsam zu sein, das stärkt die Psyche", sagt der Psychiater Michael Huppertz. Wer etwa im Feierabendstau ärgerliche Gedanken loslassen kann, schützt sein Gemüt.

Auch mal probieren: 
Beim Zahnarzt oder im überfüllten Bus sich und die Umwelt ganz bewusst wahrnehmen, dabei unangenehme Gerüche, schrille Geräusche, negative Gefühle und Gedanken erkennen, aber auch wie eine Wolke vorbeiziehen lassen. Denn das ist das Geheimnis von Achtsamkeit: wahrnehmen und loslassen.

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